Afghanische Schutzsuchende werden bleiben
Von Afghaninnen und Afghanen stammen derzeit mit Abstand am meisten Asylgesuche. Ein grosser Teil von ihnen ist minderjährig und alleine in der Schweiz. Die Anforderungen für Bund und Kantone sind komplex, die zur Verfügung stehenden Strukturen ungenügend.
Seit die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan ergriffen haben, flüchten viele Menschen aus dem Land. In der Schweiz haben vor allem seit Anfang Jahr die Asylgesuche aus Afghanistan zugenommen. Zurzeit stammt jedes dritte Asylgesuch von einer Afghanin oder einem Afghanen.
Praktisch alle afghanischen Schutzsuchenden bleiben
Zurzeit erhalten fast alle afghanischen Schutzsuchenden, die in der Schweiz ein Asylverfahren durchlaufen, ein zumindest temporäres Bleiberecht. Knapp ein Viertel der in der Schweiz lebenden Afghaninnen und Afghanen haben einen positiven Asylentscheid, drei Viertel sind vorläufig aufgenommen.
Die Problematiken der vorläufigen Aufnahme sind hinlänglich bekannt. Wie der Name bereits suggeriert, ist sie als vorübergehende Duldung konzipiert und auf Rückkehr ausgerichtet. Dementsprechend ist sie weder ein regulärer Aufenthaltsstatus noch gibt es einen Anspruch irgendwann einmal einen solchen zu erhalten. Es gibt Einschränkungen in der Reisefreiheit, beim Familiennachzug, der Existenzsicherung und der Wohnmöglichkeit. Caritas hat durch ihre Projekte und Beratungstätigkeiten engen Kontakt mit vorläufig Aufgenommenen. Françoise Vogel, Bereichsleiterin Inland bei Caritas Schweiz, gibt zu bedenken, dass «dieses Dauerprovisorium die Betroffenen stark belastet und die Rückkehrorientierung in keiner Weise ihrer Realität entspricht». Denn in Afghanistan zeichnet sich keine kurz- oder mittelfristige Verbesserung der Situation ab. «Wie wir aus Erfahrung in Afghanistan, aber auch aus Ländern in ähnlichen Kontexten wissen, werden die allermeisten Afghaninnen und Afghanen wohl lange nicht zurückkehren können und dauerhaft in der Schweiz bleiben», so Vogel. Es bedarf daher offensichtlich einer neuen Lösung. Caritas fordert dies in ihrem Positionspapier und auch die Evaluationsgruppe zum Status S sieht in ihrem Zwischenbericht Handlungsbedarf.
Viele sind unbegleitete Kinder und Jugendliche
Derweil ist der Bund mit vielen Asylgesuchen konfrontiert und versucht, durch verschiedene Massnahmen für Entlastung zu sorgen. Eine Massnahme ist dabei ein verkürztes Verfahren für afghanische Staatsangehörige. Françoise Vogel sagt, dass bei einer so hohen Schutzquote schnelle Asylentscheide durchaus sinnvoll sind. «Allerdings muss man sich dabei sehr bewusst sein, dass es Afghaninnen und Afghanen gibt, die Asylgründe gemäss der Genfer Konvention geltend machen können und Anspruch auf einen Flüchtlingsstatus haben. Es ist daher wichtig, dass trotz der Beschleunigung des Verfahrens bei der individuellen Prüfung die nötige Sorgfalt gegeben ist». Denn für die Betroffenen ist es ein sehr grosser Unterschied, ob sie als Flüchtlinge anerkannt sind oder als vorläufig Aufgenommene nur geduldet werden.
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) und die kantonalen Behörden sind nicht nur wegen der aktuellen Asylgesuchszahlen besonders herausgefordert. Es hängt auch damit zusammen, dass viele der afghanischen Schutzsuchenden Kinderflüchtlinge sind, oft als unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) bezeichnet. Die Gesuchszahlen von Kinderflüchtlingen haben sich seit 2019 verdreifacht und vier von fünf stammen aktuell aus Afghanistan. Diese Kinder und Jugendliche haben oft lange Fluchtwege hinter sich und sind allein in der Schweiz. Für sie braucht es spezielle Unterbringungsmöglichkeiten. Das SEM hat im Jahr 2020 ein Handbuch mit Handlungsanweisungen für die Betreuung in den Bundesasylzentren erstellt. Auf kantonaler und Gemeindeebene gibt es hingegen lediglich Empfehlungen, die die Sozialdirektorinnen und -Sozialdirektorenkonferenz (SODK) 2016 herausgegeben hat. Neben der getrennten Unterbringung von Erwachsenen wird darin vor allem betont, dass es sozialpädagogische Betreuung braucht und der Betreuungsschlüssel demjenigen von anderen Kinder- und Jugendheimen entsprechen soll.
Sowohl der Bund wie auch verschiedene Kantone hatten in den vergangenen Monaten Probleme, die Unterbringung wie vorgesehen zu gewährleisten. Der Grund liegt nicht nur an fehlenden Unterbringungsplätzen, sondern auch daran, dass nicht genug qualifiziertes Personal gefunden werden kann. «Diese Situation darf nicht unterschätzt werden», mahnt Françoise Vogel, «Kinderflüchtlinge sind in erster Linie Kinder. Sie sind besonders vulnerabel und ihr Schutz hat daher oberste Priorität». Die Flucht, der Asylprozess, die bei afghanischen Geflüchteten meist befristete Duldung, das alles müssen diese jungen Menschen bewältigen. Sie brauchen eine Zukunftsperspektive und es ist daher enorm wichtig, dass Bund und Kantone schnell genügend Kapazitäten schaffen, um eine angemessene Unterbringung und professionelle Begleitung gemäss den Empfehlungen der SODK sicherzustellen.
Geschrieben von Michael Egli
Titelbild: © Christine Bärlocher/Ex-Press