Alles wird teurer, aber Hilfe für ärmere Haushalte bleibt aus
Im Herbst 2022 herrschte in der Schweizer Politik noch grosse Besorgnis: Wie kann die Bevölkerung angesichts einer Teuerung von über 3 Prozent und dem Kostensprung bei den Krankenkassenprämien entlastet werden? Ein halbes Jahr nach der Kaufkraftdebatte im Parlament sind politische Antworten weitgehend im Sand verlaufen. Der Druck auf Haushalte mit geringen Einkommen wird aber immer grösser.
Die Teuerung trifft Haushalte mit geringen finanziellen Mitteln besonders hart. Wieso dies der Fall ist, zeigt sich, wenn man die Ausgaben dieser Haushalte genauer unter die Lupe nimmt. So müssen die 20 Prozent der Haushalte mit den tiefsten Einkommen fast ihr ganzes Geld für Konsumausgaben aufbringen. Dazu zählen unter anderem Wohnen, Essen, Gesundheit und Mobilität – also alltägliche Grundausgaben, bei denen man kaum sparen kann. Im durchschnittlichen Schweizer Haushalt beanspruchen diese Konsumausgaben dagegen nur etwas mehr als die Hälfte des Budgets.
Wasser steht bis zum Hals
Die Teuerung ist von Januar auf Februar wieder auf 3,4 Prozent angestiegen und liegt höher als viele Expertinnen und Experten erwartet hatten. Sie schlägt gerade bei den Konsumausgaben besonders stark durch: Die Strompreise sind beispielsweise um 25 Prozent gestiegen. Auch bei den Nahrungsmitteln gibt es markante Preiserhöhungen. Und die ohnehin permanent wachsenden Wohnkosten drohen nun noch einmal stark zu steigen, wenn als Folge der Inflation der Referenzzinssatz für Hypotheken angehoben werden muss. Dies wird sich in spürbar höheren Mieten niederschlagen.
Im Landesindex der Konsumentenpreise nicht enthalten sind die Krankenkassenprämien, die auf den Jahreswechsel um 6,6 Prozent in die Höhe geschnellt sind. Haushalte, die nur die Hälfte ihrer Budgets für Konsumausgaben einsetzen müssen, können solche Preisanstiege verschmerzen – den Haushalten am Rand der Armutsgrenze steigt das Wasser aber zunehmend bis zum Hals.
Dass dies keine rein theoretischen Überlegungen sind, zeigt sich im Caritas-Markt. Hier ist die Nachfrage nach stark vergünstigten Produkten, insbesondere Grundnahrungsmitteln, in den letzten Monaten deutlich angestiegen. Auch in den Sozialberatungen der Caritas in den verschiedenen Regionen wird die aktuelle Teuerung zunehmend zum Thema. Die Hilfesuchenden wissen immer weniger, wie sie mit ihren ohnehin knappen Budgets über die Runden kommen sollen.
Kein Fortschritt bei den Prämienverbilligungen
Während sich die Situation von Familien und Einzelpersonen verschärft, ist es in der Politik ein halbes Jahr nach der Kaufkraftdebatte im Bundeshaus seltsam ruhig geworden. Eine ausserordentliche Erhöhung der Individuellen Prämienverbilligung hat der Ständerat rundweg abgelehnt und der gleiche Rat will auch nichts wissen von einem Gegenvorschlag des Nationalrats zur Prämien-Entlastungsinitiative. Dabei wird der Bedarf an zusätzlicher Entlastung durchaus anerkannt. Als Hauptargument für ihre Zurückhaltung nennen die Ständerätinnen und Ständeräte aber, dass für die Individuelle Prämienverbilligungen die Kantone zuständig seien.
Auf Kantonsebene ist die Bereitschaft, sich stärker zu verpflichten, allerdings beschränkt vorhanden. Zwar haben einige Kantone die Budgets erhöht, bleiben damit aber oft hinter dem Kostenanstieg zurück. Zudem ist die Situation von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Wenige Kantone haben die Einkommensobergrenze für Anspruchsberechtigte leicht erhöht, wodurch mehr Personen von der Prämienverbilligung profitieren können. Als Negativbeispiel hat der Berner Kantonsrat am 13. März eine Erhöhung der Prämienverbilligung gänzlich abgelehnt.
Fazit: Auf Kantonsebene bewegt sich zu wenig, um das fehlende Engagement des Bundes ausreichend und flächendeckend zu kompensieren. Umso wichtiger ist, dass sich die Räte doch noch auf einen wirksamen Gegenvorschlag der Prämien-Entlastungsinitiative einigen können.
Renten hinken Teuerung hinterher
Endgültig begraben wurde in der Frühjahrssession des Parlaments auch der Vorstoss für einen vollen Teuerungsausgleich bei AHV- und IV-Renten sowie bei Ergänzungsleistungen. Zwar gewährte der Bundesrat einen Teuerungsausgleich von 2,5 Prozent. Bei einer Jahresteuerung von 2,8 Prozent bedeutet dies aber einen nennenswerten Kaufkraftverlust für Menschen, die ohnehin jeden Franken umdrehen müssen. Wer die Folgen relativiert mit dem Hinweis, es gehe ja nur um wenige Franken pro Monat, kennt die Realität der Menschen nicht, die mit knappsten Budgets leben müssen.
Die Armut in der Schweiz steigt seit Jahren an. Das macht deutlich, dass die aktuellen Instrumente zur Armutsvermeidung und -bekämpfung nicht genügen. Mit ihrem zögerlichen Handeln liefert die Politik die ärmere Bevölkerung nun abermals einer Krise aus.
Geschrieben von Stefan Gribi
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Titelbild: Höhere Preise bei Nahrungsmitteln, Energie und Krankenkassen belasten Menschen mit knappem Budget stark. © Corinne Sägesser