Der 17-jährige Afghane hat sich bereits sehr gut in Einsiedeln integriert.
Der 17-jährige Afghane hat sich bereits sehr gut in Einsiedeln integriert.

Bei Sebghat gelingt die Integration «spielend»

Und das hat auch mit dem Welttheater zu tun

Im Auftrag der Kantone Schwyz, Zug, Zürich und Freiburg betreut Caritas Schweiz minderjährige unbegleitete Asylsuchende mindestens bis zur Volljährigkeit. Diese Jugendlichen kommen nach ihrer Flucht in eine sichere, aber gänzlich fremde Lebenswirklichkeit.

Alle in Einsiedeln kennen Sebghat Kazimi. Dabei ist der 17-jährige Afghane erst seit wenigen Monaten in der Zentralschweiz. Er lebt mit 15 anderen sogenannten MNAs (mineurs non accompagnés, also unbegleiteten Minderjährigen) im ehemaligen Hotel Sonne, direkt am Klosterplatz. Der Kanton hat im Gebäude zur Zwischennutzung jugendliche Geflüchtete untergebracht. Betreut werden sie von Caritas Schweiz. Gleichzeitig wird das Haus für das «Welttheater» in Einsiedeln genutzt.

Diese Tatsache hat das Leben von Sebghat grundlegend verändert. Er hat sich entschieden, wie Hunderte anderer Männer und Frauen aus Einsiedeln, beim Open-Air-Spektakel mitzuwirken – obwohl er bei den ersten Proben nur wenig Deutsch konnte und nichts über das Theaterstück wusste, das in Einsiedeln auf hundert Jahre Tradition zurückblickt.

«Wer lernen will, kann alles schaffen. Wer nicht lernen will, wird es immer schwer haben.»

Es ist eine stumme Rolle und doch: «Durch das Theater erfahre ich mehr über die Kultur, treffe viele Leute und lerne die Sprache», erklärt Sebghat. «Das Stück ist auf Schweizerdeutsch», sagt er schmunzelnd, «das ist nicht immer einfach zu verstehen. » Dennoch will er es lernen. Er ist fest überzeugt, dass dies der Schlüssel für einen guten Start in seiner neuen Heimat ist. «Wer lernen will, kann alles schaffen. Wer nicht lernen will, wird es immer schwer haben.»

Die Jugendlichen haben ein Recht auf besondere Fürsorge

Mit 14 Jahren hat Sebghat Afghanistan verlassen, vor eineinhalb Jahren kam er über die Türkei in die Schweiz. Er ist minderjährig und gilt damit als «besonders verletzlich». Wie allen MNA wird ihm damit ein «angemessener Schutz» sowie «besondere Fürsorge» und «Unterstützung» zugesichert. Dazu haben sich Bund und Kantone verpflichtet, als die Schweiz 1997 die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnete.

Mehr als zehn Prozent der Asylgesuche in der Schweiz werden von MNA gestellt.2023 waren es 3271 Heranwachsende, die jugendgerecht untergebracht und gefördert werden mussten. Caritas Schweiz kümmert sich in Zug, Schwyz, Zürich und Freiburg im Auftrag der Kantone um die Betreuung von MNA, der jeweilige Kanton stellt die Gebäude zur Verfügung.

Maximal- und nicht Minimalstandards

«Es ist eine tägliche Herausforderung», weiss Regula Heggli, die bei Caritas Schweiz für die pädagogischen Konzepte und Hilfsmittel der MNA-Betreuung zuständig ist. Sie war mehrere Jahre sogenannte Bezugsperson von jungen Geflüchteten, die ganz auf sich gestellt in der Schweiz Schutz suchten.

Heggli betont, dass jede Fluchtgeschichte eigentlich ein ganz individuelles Integrationskonzept mit Schulbesuch, Gesundheitsversorgung und Freizeitgestaltung bedeutet. Die Gesellschaft erwartet, dass sich die Asylsuchenden rasch integrieren, in einen Verein gehen oder Freunde mit demselben Hobby finden. «Aber für diese Jugendlichen sind all diese Strukturen neu.» Nicht nur die Strukturen, sondern alles: die Sprache, die Rollenbilder, das Essen, das Klima. Deswegen ist die Begleitung durch Bezugspersonen von hoher Bedeutung.

«Wenn wir diese Kinder betreuen, müssen wir für sie einstehen, als seien es unsere Kinder. Als Gesellschaft dürfen wir uns nicht mit Minimalstandards zufriedengeben.» Heggli kennt die Grenzen, weiss, wie sich Fachkräftemangel und Spardruck auf den Alltag auswirken. Aber sie ist überzeugt, dass jede und jeder Jugendliche die Chance verdient, sich hier zu integrieren.

Am Welttheater kommt Sebghat buchstäblich eine tragende Rolle zu – er stützt die Riesenheuschrecke.
Am Welttheater kommt Sebghat buchstäblich eine tragende Rolle zu – er stützt die Riesenheuschrecke. © Livia Leykauf, Emanuel Ammon

Der Blick geht in eine Richtung – nach vorne

Sebghat nimmt diese Chance wahr. Er lernt eifrig Deutsch, möchte später im Gesundheitsbereich arbeiten. Er ist wissbegierig, vielleicht, weil er in Afghanistan kaum in den Unterricht konnte. Obwohl er seine Familie seit über drei Jahren nicht gesehen und eine belastende Flucht hinter sich hat, spürt man Optimismus, Zukunftswillen und Lebensenergie.

Sich selbst will er von den schwierigsten Aspekten seines Lebens nicht herunterziehen lassen. Statt Heimweh zu haben, kocht er die Rezepte seiner Grossmutter. Mit dem Vergangenen will er sich nicht zu sehr belasten. Er lebt jetzt hier, spielt Eishockey und ist Fan des Vereins in Schwyz.

Die Teilnahme am Welttheater ist ein grosses Glück. Vor der Aufführung winken ihm andere Mitwirkende zu, rufen «der Junge ist wirklich toll». Eine Freiwillige sagt: «Aus dem wird mal was! Wenn sich alle so schnell integrieren würden, gäbe es keine Probleme.»

Wie Regula Heggli will sich auch Sebghat nicht mit Minimalstandards zufriedengeben. Er will maximale Integration in der Schweiz, auch wenn er bisher nur «vorläufig aufgenommen» ist.

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Titelbild: Der 17-jährige Afghane hat sich bereits sehr gut in Einsiedeln integriert. © Livia Leykauf, Emanuel Ammon