Caritas ist in fünf der zehn «vergessenen Krisen» tätig
Äthiopien, Burkina Faso, Mali, Kolumbien und Venezuela gehören zu den «vergessenen Krisen» dieser Welt. Die Lage in diesen Ländern ist extrem fragil, die humanitäre Not enorm. Caritas Schweiz fordert deshalb mehr Gelder vom Bund, um die Betroffenen zu unterstützen.
Jedes Jahr publiziert die international tätige Nichtregierungsorganisation Norwegian Refugee Council (NRC) die Liste der zehn «vergessenen Krisen» dieser Welt. Ziel ist es, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Not all jener zu richten, die es selten oder gar nie in die Schlagzeilen schaffen. Wenn Krisen in Vergessenheit geraten, sinkt der Druck, auf internationaler Ebene eine Lösung zu finden. Gleichzeitig gehen die Spenden zurück, die so dringend nötig wären.
Der NRC hat dieses Jahr in folgenden Ländern «vergessene Krisen» identifiziert: Äthiopien, Burkina Faso, Burundi, El Salvador, Kamerun, Kolumbien, Kongo, Mali, Sudan und Venezuela. Caritas Schweiz ist in der Hälfte dieser Länder tätig, zum Teil seit Jahrzehnten. Ihnen gemein ist, dass die Lage in diesen Staaten äusserst fragil ist. Dies trifft auf praktisch alle Bereiche des Lebens zu: die Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Sicherheit, ja selbst die Umwelt durch wiederkehrende Dürren oder Überschwemmungen. Das hat existenzielle Folgen für Millionen von Menschen.
Trotz grosser Not keine Aufmerksamkeit
In Vergessenheit geraten diese Krisen, weil sie oftmals schon Jahrzehnte andauern. In Mali beispielsweise flammen seit 2012 immer wieder Kämpfe zwischen Regierungstruppen, Rebellen und Islamisten auf. Hinzu kommen unter anderem Dürreperioden, die Hunderttausende Menschen in die Flucht treiben. Viele von ihnen leben Jahre lang in stetiger Ungewissheit, oftmals ohne Zugang zu Bildung, Arbeit oder gesellschaftlicher Teilhabe. Eine nachhaltige Lösung ist nicht absehbar.
«Die Erfahrungen der Caritas zeigen, dass sich trotz der enormen humanitären Not in Ländern wie Mali eine gewisse Aufmerksamkeitsmüdigkeit in der breiten Öffentlichkeit einstellt», sagt Petra Winiger, stellvertretende Leiterin Internationale Zusammenarbeit bei Caritas Schweiz. Eigentliche Ausnahmezustände werden als Normalität aufgefasst, die Krisen geraten in Vergessenheit.
Um das zu ändern, liegt ein Schwerpunkt der Internationalen Zusammenarbeit von Caritas Schweiz auf genau diesen «vergessenen Krisen». Doch die Herausforderungen, in solch fragilen Kontexten nachhaltige Hilfe zu leisten, sind gross. Weil es den Menschen häufig an allem fehlt, müssen zunächst ihre Grundbedürfnisse gedeckt werden. Erst dann können langfristig angelegte Projekte ansetzen, etwa für eine bessere Bildung oder klimaresiliente Anbaumethoden in der Landwirtschaft.
Konkurrenz unter den Krisen
Diese Kombination aus kurzfristiger humanitärer Hilfe und langfristiger Entwicklungszusammenarbeit erfordert eine grosse Flexibilität bei der Caritas, aber auch bei Finanzierern wie dem Bund. Er leistet einen wesentlichen Beitrag an die internationale Zusammenarbeit.
Mit der neuen Strategie für die Jahre 2025 bis 2028 will der Bundesrat zwar die humanitäre Hilfe aufstocken, gleichzeitig aber seine internationale Zusammenarbeit insgesamt auf einen Tiefstand kürzen. Zudem soll ein grosser Anteil von 13 Prozent des Gesamtbudgets in ein einziges Land fliessen, in die Ukraine. Zum Vergleich: Für die zehn «vergessenen Krisen» wurden zuletzt nur rund acht Prozent des Gesamtbudgets aufgewendet.
Diese umfangreiche Unterstützung für die Ukraine ist zweifelsohne dringend nötig. Doch sie darf nicht auf Kosten der Länder im Globalen Süden und der «vergessenen Krisen» gehen. Vielmehr sollte der Bundesrat die finanzielle Hilfe für die Ukraine aufgrund der aussergewöhnlichen Sicherheitslage separat verbuchen – und die Beiträge an die anderen Länder nicht kürzen.
Geschrieben von Niels Jost
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Titelbild: Äthiopien, eine der «vergessenen Krisen»: Dieser Mann ist Vater von neun Kindern, Witwer und hat bei einer Dürre all seine Kühe und Ziegen verloren. © Caritas Schweiz