«Die Stimmung im Libanon ist sehr bedrückt und von Angst geprägt»
Die massive Gewalt im Rahmen des Gaza-Kriegs wirkt sich auch auf die humanitäre Lage im Libanon katastrophal aus. Wael Darwish koordiniert von Beirut und Damaskus aus die Hilfe von Caritas Schweiz im Nahen Osten. Er erzählt, wie es den Menschen im Libanon geht und wie die Caritas Schweiz auf die Gewalteskalation reagiert.
Wael Darwish, als Länderdirektor kennen Sie die Lage vor Ort genau. Welche Folgen hat der Krieg in Gaza bisher für die Menschen im Libanon?
Die Zivilbevölkerung im Libanon ist von den anhaltenden Feindseligkeiten stark betroffen. Seit der Gewalteskalation im Oktober 2023 wurden über 346'000 Menschen aus dem an Israel grenzenden Süden vertrieben und mehr als 1'600 Zivilpersonen getötet. Die Wasser-, Strom- und Telekom-Infrastruktur im Süden ist schwer beschädigt. Viele Dörfer sind fast komplett verlassen, Häuser liegen in Trümmern. Mindestens 4'000 Wohngebäude wurden bisher vollständig zerstört und weit über 20'000 weitere schwer beschädigt.
Wer geblieben ist, ist unmittelbar an der Grenze täglich Bombardierungen und Luftangriffen ausgesetzt, die ähnliche Schäden zur Folge haben wie Erdbeben. Viele der intern Vertriebenen im Herzen und im Norden des Landes benötigen dringend Wohnraum und Lebensmittel. Auch die Regionen, welche die Menschen aufnehmen, sind auf wirtschaftliche Unterstützung angewiesen. Steigende Preise und teurere Mieten verschärfen die Lage. Die angespannte Situation und die anhaltende Unsicherheit belasten die betroffenen Menschen auch psychisch.
Wie ist die Atmosphäre im Land?
Die Stimmung ist im ganzen Land sehr bedrückt und von Angst geprägt. Denn der Gaza-Krieg tobt in einer Zeit, in der die libanesische Bevölkerung immer noch mit den Auswirkungen des finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenbruchs von 2019 zu kämpfen hat, mit einer stetigen Verschlechterung der sozialen Stabilität und zusätzlichen Erschütterungen, wie zum Beispiel der Explosion im Beiruter Hafen 2020.
So hatten die meisten Menschen bereits vor dem Gewaltausbruch vom 7. Oktober mit prekären Lebensbedingungen zu kämpfen. Das UNHCR schätzt, dass die Hälfte der libanesischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt. Auch Syrerinnen und Syrer, die in den letzten Jahren in den Libanon geflohen sind, können kaum überleben. 90 Prozent von ihnen benötigen humanitäre Hilfe, um ihre Grundbedürfnisse zu decken.
Wie agiert Caritas Schweiz im Wissen darum, dass die Lage in der Region so volatil ist?
Caritas Schweiz ist seit 2016 mit einem eigenen Büro im Libanon präsent und setzt humanitäre Projekte um. Nun weiten wir diese Hilfe aus. Gemeinsam mit Caritas Libanon und der Non-Profit-Organisation Amel setzen wir ein neues Nothilfe-Projekt um. Die vom Konflikt betroffene Zivilbevölkerung wird zum einen mit kleinen Bargeldbeträgen unterstützt. Damit können sich die Menschen das kaufen, was sie am dringendsten benötigen, seien es Nahrungsmittel, Kleidung oder eine vorübergehende Unterkunft. Zum anderen erhalten sie medizinische und psychosoziale Betreuung.
Das Nothilfeprojekt bietet unter anderem Zugang zu Gesundheitsdiensten und psychosozialer Unterstützung.
Gleichzeitig führen wir unsere laufenden Projekte fort. Wir passen dabei unsere Aktivitäten laufend der sich oft ändernden Situation an, um stets diejenige Unterstützung leisten zu können, die gerade am dringendsten benötigt wird.
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Titelbild: Junge im Libanon, 2022 © Ghislaine Heger