Ein Land am Boden

In Syrien leidet die Zivilbevölkerung unter Krieg und Armut

Ein nicht enden wollender Krieg, massive Inflation und eine brach liegende Wirtschaft: Syrien kommt nicht zur Ruhe. Über 90 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Selbst für Hilfswerke wie die Caritas ist die Arbeit vor Ort äusserst anspruchsvoll.

Amal wollte schon als Kind Schneiderin werden. Für sie gab es nur ein Ziel im Leben: wie ihr Vater und ihre Brüder zu nähen und so den Lebensunterhalt für ihre Familie zu verdienen. Doch der Krieg in Syrien zerstörte die Nähstube – und damit Amals Traum.

2012 musste die ganze Familie vor den brutalen Kämpfen im Land fliehen. Sieben Jahre lebten sie im Libanon, ehe sie nach Aleppo zurückkehrten. Ihr Stadtteil Jabal Bedro lag in Trümmern. Das Haus der Familie, das Atelier, die Nähmaschinen, die gesamte Einrichtung – alles war durch Bombardierungen und Häuserkampf zerstört. Die Familie musste ganz von vorne beginnen.

Riesige Warteschlange vor Tankstellen

So wie Amal geht es Millionen Menschen in Syrien, deren Leben durch den nicht enden wollenden Konflikt erschüttert ist. Wenn heute in den westlichen Medien über das Land berichtet wird, dann über die Rolle der verschiedenen politischen Akteure im globalen Kontext oder im Zusammenhang mit dem neu entflammten Nahostkonflikt. Von der Zivilbevölkerung, die seit mehr als zwölf Jahren unter Gewalt und Instabilität leidet, wird kaum gesprochen.

Dabei leben gemäss der Vereinten Nationen über 90 Prozent der Syrerinnen und Syrer in Armut. Schätzungsweise 14,6 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen – so viele, wie seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahr 2011 nicht. Die Preise für Lebensmittel und andere Alltagsgüter sind in den vergangenen Jahren wegen der Teuerung massiv gestiegen. Die gesamte syrische Wirtschaft ist eingebrochen. Strom und Benzin sind rationiert, knapp und teuer. An den wenigen Tankstellen stehen Fahrzeuge hundert Meter in der Warteschlange.

Gelegenheitsarbeit, die kaum zum Überleben reicht

Aufgrund der internationalen Sanktionen gegen das syrische Regime sind der Import und Export quasi inexistent. Während in den Städten noch ein minimales Berufsleben funktioniert, gibt es in den ländlichen Regionen fast nur noch informelle Beschäftigungen und Gelegenheitsarbeit, die so schlecht bezahlt ist, dass es kaum zum Überleben reicht.

Die humanitäre Situation in Syrien ist höchst prekär. Leidtragend ist einmal mehr die Zivilbevölkerung. Perspektiven fehlen, Mutlosigkeit greift um sich. Äusserungen wie: «Ich weiss nicht, warum ich noch leben soll», hört man besonders seit dem Erdbeben vom Februar 2023 vermehrt. Die Naturkatastrophe hat vielen den letzten Funken Hoffnung und Kraft geraubt.

Unterstützung für die syrische Bevölkerung gestaltet sich äusserst anspruchsvoll. Auch für internationale Hilfswerke gelten strenge Regeln für ihren Einsatz in Syrien. Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit dürfen sie in dem Land nicht leisten. So sind etwa der Wiederaufbau von zerstörten Schulen, strukturelle Massnahmen wie Landwirtschaftsprogramme oder langfristige Berufsbildung für Erwachsene nicht möglich.

Wunsch der siebenjährigen Tochter erfüllt

Caritas Schweiz ist seit 2012 in Syrien mit Nothilfeprogrammen tätig. Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen konnte so schon Zehntausenden Menschen geholfen werden. Ein Beispiel dafür ist Amal, die versucht, sich im kriegsgezeichneten Land eine Zukunft aufzubauen.

Neben psychologischer Hilfe hat die 31-Jährige von der Caritas sechs Monate lang kleine Bargeldbeträge erhalten, um das zu kaufen, was ihr und ihrer Familie besonders wichtig erscheint. Für sie waren das Medikamente für ihre herzkranke Mutter, haltbare Lebensmittel, Decken und Kleidung für den Winter sowie ein Suppenhuhn. Die siebenjährige Tochter hatte sich sehnlichst gewünscht, endlich wieder einmal Fleisch zu essen. Das war aufgrund der finanziellen Not lange nicht mehr möglich.

Und ein weiterer Traum geht in Erfüllung: Amal wird in Jabal Bedro im Osten Aleppos eine kleine Nähstube eröffnen. Dafür hat sie die Grundlagen in Buchhaltung gelernt und einen Businessplan aufgestellt. Mit finanzieller Unterstützung der Caritas kann sich Amal nun eine Nähmaschine, ein Solarpanel und eine Lampe kaufen. Vorerst wird sie Hosen flicken, Pyjamas nähen und einfache Kinderkleidung herstellen. Und so ein bisschen Geld für die Familie verdienen.

Caritas Schweiz hat die Kampagne «Ja zu einer Welt ohne Armut» lanciert. Mehr Geschichten und Eindrücke aus Syrien finden Sie unter www.caritas.ch/ja

Geschrieben von Livia Leykauf, Leiterin Abteilung Kommunikation, Caritas Schweiz

Interviewanfragen und weitere Informationen: medien@caritas.ch

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Titelbild: © Hasan Belal