Es braucht eine schweizweite Lösung gegen die Kinderarmut
Rund 134‘000 Kinder sind in der Schweiz von Armut betroffen. Der Bund überlasst das Feld der Armutsbekämpfung den Kantonen, was zu ungleichen Chancen führt. Vier Kantone setzen mit Erfolg das Instrument der Familienergänzungsleistungen gegen Kinderarmut ein. Die Parlamentarische Initiative «Kinder vor Armut schützen» fordert eine schweizweite Lösung nach diesem Modell
Statistisch gesehen sitzt in der Schweiz in jeder Schulklasse mindestens ein Kind, das von Armut betroffen ist. Aus Sicht der Caritas darf es nicht sein, dass Kinder wegen des ungenügenden Einkommens ihrer Eltern in ihrer Entwicklung behindert werden und für ihre Familiensituation, in der sie aufwachsen, gesellschaftlich bestraft werden. Gemäss Bundesverfassung haben Kinder und Jugendliche Anspruch auf besonderen Schutz und Förderung ihrer Entwicklung. Dass der Bund sich aus der Armutsbekämpfung heraushält und die Zuständigkeit dafür allein den Kantonen überträgt, ist daher nicht akzeptabel. Caritas fordert schon seit längerer Zeit, dass der Bund der Kinderarmut entschieden entgegentritt.
Vier Kantone bekämpfen Kinderarmut mit Erfolg
Dass es wirksame Massnahmen gegen die Kinderarmut gibt, haben vier Kantone unter Beweis gestellt. In Genf, Solothurn, Tessin und Waadt hat die Einführung von Ergänzungsleistungen für Familien dazu geführt, dass deutlich weniger Familien Sozialhilfe beziehen müssen. Evaluationen verdeutlichen die positive Wirkung, die Armutsquoten konnten teilweise beträchtlich gesenkt werden. Besonders wirksam ist das Modell Waadt. Dort werden Familienergänzungsleistungen bis ins Jugendalter ausbezahlt. Zudem übernimmt die Waadt einen hohen Anteil der Kinderbetreuungskosten und erstattet Gesundheitskosten zurück.
Es braucht eine schweizweite Lösung
Dass trotz dieser positiven Erfahrungen ein vergleichbares Instrument in den 22 anderen Kantonen fehlt, macht deutlich, dass nun die Bundepolitik aktiv werden muss. Dies fordert die Parlamentarische Initiative «Kinder vor Armut schützen». Caritas befürwortet das Anliegen und macht sich stark dafür, dass der Bund ein Rahmengesetz schafft, welches das Instrument der Ergänzungsleistungen für Familien gesetzlich verankert und für die ganze Schweiz einführt. Der Bund muss Mindestvorschriften für die Ausgestaltung festlegen und definieren, wie er die Leistungen mitfinanziert.
Ergänzungsleistungen für Familien fördern die Selbstverantwortung, schaffen Anreize zur Erwerbstätigkeit und sind zudem mit weniger administrativem Aufwand verbunden als die Sozialhilfe.
Sie wirken einer Chronifizierung und Vererbung von Armut entgegen. Anders als bei der Sozialhilfe muss die Familie nicht alle Reserven aufbrauchen. Viele Familien sind nur während zwei, drei Jahren in einer sehr prekären Situation, wenn die Kinder ganz klein sind. Es ist nachhaltiger, sie in diesen wenigen Jahren so zu unterstützen, dass ihr Handlungsspielraum gewahrt bleibt und sie nicht in die Armutsfalle geraten.
Vielfältige Ursachen von Kinderarmut
Dass Kinder in der reichen Schweiz von Armut betroffen sind, hat vielfältige Ursachen. Die Kosten belasten besonders Eltern mit tiefen Einkommen. So stammen 70 Prozent aller armutsbetroffenen Kinder aus Working-Poor-Familien. Oft muss mindestens ein Elternteil das Erwerbspensum reduzieren, um die Kinderbetreuung sicherstellen zu können, denn Kindertagesstätten sind teuer. Auch sonst ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mangelhaft und stellt vor allem Familien mit flexiblen Arbeitsverhältnissen vor oft unüberwindbare Probleme. Weil das Risiko einer Scheidung schlecht abgesichert ist, sind überdurchschnittlich viele Kinder von Alleinerziehenden armutsbetroffen. Insgesamt liegt die Schweiz bei Investitionen in Kinder und Familien deutlich unter dem europäischen Durchschnitt.
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Titelbild: © Conradin Frei