Europas zweifelhafter Kompromiss in der Asylpolitik

Zwischen Inhaftierung an der Grenze und Scheinsolidarität

Die Innenministerinnen und Innenminister der Europäischen Union haben sich Anfang Juni auf eine Position zur neuen Asyl- und Migrationspolitik geeinigt. Die Rede ist von einem historischen Durchbruch und wichtigem Kompromiss. Caritas Schweiz ist jedoch besorgt, zu welchen Bedingungen dieser Kompromiss zustande kam.

Die Einigung der Mitgliedstaaten ist ein Zwischenschritt, auf den noch intensive Verhandlungen mit dem EU-Parlament folgen werden. Es wurden jedoch zwei wesentliche Bestandteile beschlossen. So sollen Asylverfahren vermehrt an den Schengen-Aussengrenzen durchgeführt werden und ein sogenannter Solidaritätsmechanismus soll einen Ausgleich unter den Mitgliedsstaaten schaffen. Was auf den ersten Blick gut klingt, birgt aber erhebliche Risiken und Tücken.

Problematische Grenzverfahren und begrenzte Solidarität

Obwohl die Staaten an den südlichen Rändern Europas seit Jahren den höchsten Migrationsdruck haben und mit der Aufnahme teils massiv überfordert sind, sollen auch weiterhin die Ersteinreisestaaten die Hauptverantwortung tragen. Weiterhin sollen nämlich genau dort alle Schutzsuchenden registriert werden. Wem aufgrund von pauschalen Annahmen geringe Chancen auf einen positiven Asylentscheid zugeschrieben werden, soll neu am gleichen Ort auch gleich ein Schnellverfahren durchlaufen. Ziel ist es, bereits an der Grenze möglichst viele Rückweisungen in das Heimatland oder einen als sicher bezeichneten Drittstaat durchzuführen. Es bleibt vage, was unter einem sicheren Drittstaat verstanden wird. Klar ist aber, dass für die Durchsetzung dieser Grenzverfahren haftähnliche Bedingungen in den Zentren vorherrschen sollen. Auch für Familien mit Kindern.

Für Entlastung der exponierten Länder an Europas Grenzen soll ein Solidaritätsmechanismus sorgen. Damit ist aber nur zum Teil eine Umverteilung von Schutzsuchenden in andere Länder gemeint. Staaten können auswählen, ob sie sich anstelle von Aufnahmen von Asylsuchenden lieber finanziell an Rückführungen oder der Infrastruktur und den Personalkosten an den Grenzen beteiligen.

Bedenken der Caritas

Caritas Schweiz kritisiert den Kompromiss und hat Bedenken zu den vorgesehenen Grenzverfahren. So sind Haftbedingungen nicht angebracht, wenn es um die Prüfung von Asylgesuchen geht. Vor allem aber müssen beschleunigte Verfahren besonders hohe rechtliche Anforderungen erfüllen, gerade bezüglich Rechtsschutz bei kürzeren Einsprachefristen. Angesichts der aktuellen Situation an den Schengen-Aussengrenzen, den Berichten über illegale Pushbacks und der generellen Überforderung der Grenzstaaten gibt es grosse Zweifel, dass solch anspruchsvolle Verfahren unter menschenwürdigen Bedingungen durchgeführt werden können. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe, zu deren Trägerschaft auch Caritas Schweiz gehört, befürchtet sogar, dass mit dem neuen Grenzverfahren neue Anreize für Pushbacks geschaffen werden. Auch der sogenannte Solidaritätsmechanismus, bei dem sich Staaten von ihrer Verantwortung quasi freikaufen können, vermag weder zu überzeugen noch scheint eine wirkliche Entlastung der Erstaufnahmeländer plausibel.

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Titelbild: © Lefteris Partsalis