Flucht aus dem Sudan: Humanitäre Krise verschärft sich
Die Kämpfe im Sudan halten unvermindert an. In den vergangenen Wochen sind über 60ʼ000 Männer, Frauen und Kinder in den Südsudan geflohen. Der Grossteil von ihnen darf jedoch nicht in Flüchtlingslager untergebracht werden, wie Julian Jekel, Country Direktor der Caritas Schweiz im Südsudan, erklärt. Deshalb startet die Caritas nun ein Nothilfeprojekt.
Julian Jekel, wie ist die Lage im Südsudan im Moment?
Der Grossteil der Flüchtenden nutzt einen Grenzübergang im Nordosten des Landes, rund um die Stadt Renk. Meist sind es ganze Familien, die zu Fuss über die Grenze fliehen. Der überwiegende Grossteil von ihnen gehört zu den sogenannten rückkehrenden Flüchtlingen. Das heisst, sie stammen ursprünglich aus dem Südsudan, waren vor Jahrzehnten in den Sudan geflohen und kehren nun gezwungenermassen zurück. Viele von ihnen haben aber kaum noch Bindungen in den Südsudan und oft keine Familie mehr. In den meisten Fällen haben die rückkehrenden Flüchtlinge keine Einkommensmöglichkeiten, sind auf Hilfe angewiesen und verschärfen somit die humanitäre Krise.
Werden die sogenannten rückkehrenden Flüchtlinge anders behandelt?
Direkt nach der Ankunft nicht. Nach der Registrierung finden die Frauen, Kinder und Männer nahe der Grenze eine erste Anlaufstelle in Transitzentren der Vereinten Nationen. Dort erhalten sie sauberes Wasser, Nahrungsmittel und in Notfällen medizinische Versorgung. Alle müssen die Zentren nach 72 Stunden wieder verlassen. Die Menschen ohne Wurzeln im Südsudan werden in Flüchtlingslager aufgenommen. Die rückkehrenden Flüchtlinge aber nicht, weil die Regierung davon ausgeht, dass sie später nicht mehr in den Sudan zurückkehren werden. Die Befürchtung ist, dass sich gleichzeitig und voraussichtlich langfristig sehr viele Menschen in derselben Region niederlassen. Das würde die eh schon angespannte Situation zusätzlich destabilisieren. Daher setzt die Politik alles daran, dass die Geflüchteten möglichst rasch in ihre Heimatstädte und Dörfer im Südsudan weiterziehen, also in ihre angestammte Heimat. Das wiederum birgt die Gefahr, dass sie weitgehend unversorgt und auf sich gestellt bleiben.
Caritas Schweiz ist seit Jahren im Südsudan tätig. Wie reagiert sie auf die aktuelle Krise?
In diesen Tagen starten wir ein Nothilfeprojekt mit der Partnerorganisation ADA (Africa Development Aid). In Renk, der besonders betroffenen Region des Südsudans, erhalten die Geflüchteten zum einen Bargeldbeträge, damit sie kaufen können, was sie am nötigsten brauchen. Zum anderen unterstützen wir Familien, die sich temporär um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und rückkehrende Kinder kümmern. Sie wären sonst ganz auf sich gestellt. Ein dritter Aspekt ist die psychosoziale Betreuung. Viele der Geflüchteten brauchen für die Aufarbeitung des im Krieg und auf der Flucht Erlebten Hilfe. Gleichzeitig ist es wichtig, keine Ungleichheit zu schaffen: Wir wollen sowohl die Geflüchteten unterstützen als auch die mittellose Bevölkerung der Region. Hier braucht es ein grosses Mass an Konfliktsensitivität.
Wie ist die Versorgungslage derzeit?
Noch kann der lokale Markt ausreichend Grundnahrungsmittel und Waren des täglichen Lebens anbieten. Aber man muss sehen, dass alle Nachbarstaaten des Sudans von der aktuellen Krise mit hunderttausenden Geflüchteten betroffen sind. Der Sudan ist ein wichtiges Transitland in der Region, aber er produziert auch viele Lebensmittel und liefert sie in die Nachbarländer. Das heisst, der Krieg bedeutet für alle eine riesige Herausforderung. Deutlich mehr Menschen brauchen nun Lebensmittel, die Versorgungswege sind teilweise unterbrochen. Das führt zu steigenden Preisen, in einer Gegend, die bereits vor den Kämpfen im Nachbarland sehr anfällig und von grosser Armut geprägt war.
Geschrieben von Livia Leykauf
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Titelbild: © Caritas Österreich