Fitsum und seine Familie leben in einem Studio mit 30 Quadratmetern und suchen nach der Nadel im Heuhaufen: einer bezahlbaren Wohnung.
Fitsum und seine Familie leben in einem Studio mit 30 Quadratmetern und suchen nach der Nadel im Heuhaufen: einer bezahlbaren Wohnung.

Wenn die Wohnungssuche ein Ding der Unmöglichkeit ist

Der Wohnungsmarkt grenzt aus – Caritas nimmt in Positionspapier Stellung

Die Mieten und Energiepreise steigen markant und die Wohnungsnot ist grösser denn je. Das spüren auch Fitsum und seine Familie. Zu dritt leben sie in einem Studio mit 30 Quadratmetern und suchen nach der Nadel im Heuhaufen: einer bezahlbaren Wohnung.

Seit neun Monaten lebt das Paar mit dem kleinen Yafet im gedrängten 30- Quadratmeter-Studio. Einen Rückzugsort gibt es unter diesen Umständen nicht. © Simón Aurel Schwarz

Über eine Stunde beobachtet der kleine Yafet das Gespräch seiner Eltern bei der Wohnberatung. Er ist geduldig für ein zweijähriges Kind. Jedes an ihn gerichtete Wort, jeden Blick, beantwortet er mit einem bestechend verschmitzten Lachen, bei dem seine weissen Milchzähnchen hervorblitzen. Zwei davon hatte er schon bei der Geburt, erzählen seine Eltern schmunzelnd.

Seine Eltern, das sind Fitsum und Wezenet. Sie haben einen langen Weg hinter sich und suchen nun ein Familienzuhause in Zürich. Ein einfacher Wunsch? Mitnichten.

Von Addis Abeba an den Zürcher Wohnungsmarkt

Das junge Paar kennt sich seit der Kindheit, sie sind zusammen in Eritrea aufgewachsen. 2016 flüchtete der damals 20-jährige Fitsum in die Schweiz. 2022, nach fünf Jahren der Trennung, konnten sich die beiden in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba wiedersehen, um zu heiraten. Fitsum musste aber vorerst allein in die Schweiz zurückkehren.

Der junge Mann hat hier schnell Deutsch gelernt. Vor zwei Jahren konnte er eine Lehre als Logistiker starten, die er nächstes Jahr abschliesst. Zeitgleich mit dem Start der Ausbildung bezog er seine erste eigene Wohnung in der Schweiz: ein Studio mit 30 Quadratmetern am Stadtrand von Zürich. Der Ausbaustandard ist alt und der Backofen defekt – doch für Fitsum allein reichte es vollkommen. Im Oktober 2023 konnten dann endlich seine Frau Wezenet und der kleine Yafet über den Familiennachzug in die Schweiz kommen – ein grosser Glücksmoment für die junge Familie.

«Wir warten immer darauf, dass Yafet einschläft, sodass ich für die Schule und Wezenet für den Deutschkurs lernen kann.»Fitsumlebt mit Frau und kind in einem 30-Quadratmeter-Studio

Was das Glück trübt, ist die Suche nach einer Familienwohnung. Seit neun Monaten lebt das Paar mit dem kleinen Yafet im gedrängten 30-Quadratmeter-Studio. Amüsiert erzählt Fitsum: «Wir warten immer darauf, dass Yafet einschläft, sodass ich für die Schule und Wezenet für den Deutschkurs lernen kann.» Einen Rückzugsort gibt es unter diesen Umständen nicht. Sie baten auch darum, das Gespräch für diesen Beitrag nicht bei ihnen zuhause zu machen, es sei zu eng.

Eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Während zehn Monaten Wohnungssuche hat Fitsum über 40 Wohnungen besichtigt. Für wie viele er sich beworben hat, aber abgelehnt und nicht mal zur Besichtigung eingeladen wurde, kann er nicht mehr zählen.

Die Suche ist nervenaufreibend und kostet Fitsum Zeit und Energie. Mit seiner Lehre ist er in einem 100 Prozent Pensum beschäftigt – von den Familienpflichten noch abgesehen. Wohnungen sind oft nur einige Stunden ausgeschrieben, sodass er theoretisch ständig am Handy sein müsste, um die wenigen passenden Angebote nicht zu versäumen.

Der Wohnungsmarkt grenzt aus

Wezenet und Fitsum suchen eine 3-Zimmer-Wohnung in der Stadt Zürich für maximal 1'650 Franken – das ist die Limite der sozialen Dienste. Passende Angebote gibt es, wenn überhaupt, nur in Wohnbaugenossenschaften. Und dort stehen die nächsten Hürden: Wer Mitglied werden will, muss Anteilsscheine kaufen. Dazu fehlt vielen Menschen das nötige finanzielle Polster. Einige Genossenschaften vergeben ihre Wohnungen zudem entsprechend der Mitgliedsjahre, was den Zugang für Neuzugezogene stark erschwert. Eine weitere Option auf eine zahlbare Wohnung sind Liegenschaften, die der Stadt gehören. Doch dort bewerben sich teilweise bis zu 200 Parteien auf eine ausgeschriebene Wohnung – entsprechend klein sind die Chancen.

Nebst dem schmalen Budget erschweren weitere Faktoren die Suche nach einer angemessenen Wohnung. Fitsum hat ein kleines Kind, einen Migrationshintergrund, bezieht während der Lehre ergänzende Sozialhilfe für Wezenet und Yafet, und verfügt auch nicht über hilfreiches «Vitamin B» bei der Wohnungssuche. All diese Faktoren erschweren die Wohnungssuche für ihn – ganz unabhängig von der Lage auf dem Markt.

Steigende Mieten sind ein neuer Risikofaktor für das Abrutschen in die Armut

Der Schweizer Wohnungsmarkt ist ausgetrocknet und überteuert. In der Stadt Zürich lag die Leerwohnungsquote im Juni 2023 bei 0,06 Prozent. Das bedeutet, dass auf 10'000 Wohnungen nur sechs leer stehen, Eigentumswohnungen eingeschlossen. Im Juni und im Dezember 2023 wurde gleich zwei Mal der hypothekarische Referenzzinssatz angehoben. Das ermöglicht jeweils eine Erhöhung des Mietzinses um 3 Prozent. Zudem sind die Energiepreise und damit die Nebenkosten in die Höhe geschnellt.

Gerade für Menschen mit geringem finanziellem Handlungsspielraum ist es unter diesen Umständen quasi unmöglich, eine neue, tragbare Wohnung zu finden. Die Situation droht sich in den kommenden Jahren weiter zu verschärfen. Gemäss Berechnungen dürften im Jahr 2026 rund 50'000 Wohnungen auf dem Markt fehlen.

Positionspapier von Caritas Schweiz zeigt Lösungen auf

Anlässlich dieser prekären Lage wird Caritas Schweiz noch im Juni ein Positionspapier veröffentlichen. Sie fordert die Politik auf, kurzfristig mit gezielten Hilfestellungen in Notlagen Hand zu bieten und langfristig die politischen Weichen so zu stellen, dass in der Schweiz alle Personen die Möglichkeit auf eine würdige Wohnsituation haben – auch Wezenet, Fitsum und Yafet. Wohnen ist nicht umsonst ein Menschenrecht.

Die Caritas unterstützt bei der Wohnungssuche.

Die Caritas unterstützt bei der Wohnungssuche

Das Projekt Wohn-Fit der Caritas Zürich berät und begleitet Menschen auf der schwierigen Wohnungssuche. Sozialberaterin Sheila Löwy erzählt im Interview, wie das geht.

Sheila, wie hast du Fitsum kennengelernt?

Fitsum hatte selbst im Internet nach Unterstützung gesucht und sich über die Website bei unserem Angebot WohnFit angemeldet. Das sagt schon viel über seine Ausgangslage aus: Fitsum bringt viele Ressourcen und Initiative mit. Er besitzt einen Laptop und kann ihn benutzen, spricht gut Deutsch, und durchschaut das System Schweiz so gut, dass er sich selbst Hilfe suchen kann. Die allermeisten unserer Klientinnen und Klienten werden über andere Beratungsangebote oder Netzwerke an uns vermittelt.

Sheila Löwy
«Das Ziel unserer Arbeit ist Chancengerechtigkeit, sodass niemand am Wohnungsmarkt benachteiligt ist.»Sheila löwySozialberaterin bei Caritas Zürich

Wie unterstützt du ihn bei der Wohnungssuche?

Mit unseren Angeboten möchten wir allfällige Defizite unserer Klientinnen und Klienten ausgleichen und ihre Selbständigkeit stärken. Ziel ist, dass sie am Wohnungsmarkt nicht benachteiligt sind und Chancengerechtigkeit hergestellt wird.

Bei Fitsum war eine Beratung angezeigt. Ich habe ihm einige zusätzliche Immobilienplattformen gezeigt, zum Beispiel von Wohnbaugenossenschaften und jene der Stadt Zürich. Zudem haben wir seinen Bewerbungsbrief – den er schon hatte – etwas überarbeitet und zusammen überprüft, ob er sicher alle Unterlagen bereit hat. Mir war klar, wenn ich ihm etwas zeige und erkläre, kann er das nachher gut selbst umsetzen.

Gibt es auch andere Fälle?

Die Alternative wäre ein Coaching in einem sogenannten Tandem gewesen. Hierbei werden die Klientinnen und Klienten über einen Zeitraum von sechs bis neun Monaten von Freiwilligen begleitet. Das ist notwendig, wenn weniger Ressourcen vorhanden sind als bei Fitsum.

Wie spürt ihr die aktuell verschärfte Situation?

Die Situation spitzte sich in den letzten Monaten eindeutig zu. Bei unserer Zielgruppe spüren wir das aber nur bedingt, denn: Für Menschen, die an der Armutsgrenze leben, ist die Situation schon sehr lange so. Durch die gesamtwirtschaftliche Verschlechterung betrifft es jetzt einfach einen grösseren Teil der Bevölkerung. Einen Teil, der mehr öffentliches Interesse geniesst. Doch es ist gut und wichtig, dass die Problematik jetzt mehr Sichtbarkeit erhält und sich etwas bewegt.

  • Das Positionspapier «Wie die Lage auf dem Wohnungsmarkt die Armut verschärft» finden Sie unter www.caritas.ch/positionspapiere
  • Dieses Porträt ist Teil des neuen Caritas-Magazins mit dem Schwerpunkt Wohnungskrise in der Schweiz. Das Magazin können Sie herunterladen unter www.caritas.ch/caritas-magazin
  • Autorin: Laura Scheiderer, Mitarbeiterin Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, Caritas Schweiz

Interviewanfragen und weitere Informationen

Medienstelle Deutschschweiz

Medienstelle Deutschschweiz

Livia Leykauf, Leiterin Abteilung Kommunikation; Niels Jost, Mediensprecher; Daria Jenni, Mediensprecherin (v. r. n. l.)

+41 41 419 22 37medien@caritas.ch

Weitere Informationen

Titelbild: Fitsum und seine Familie leben in einem Studio mit 30 Quadratmetern und suchen nach der Nadel im Heuhaufen: einer bezahlbaren Wohnung. © Simón Aurel Schwarz