Wie organisiert man eine Lebensmittelverteilung?
Sicherzustellen, dass Menschen in akuter Not genug zu essen haben, ist eine der zentralen Aufgaben der humanitären Hilfe. Im Gorom-Flüchtlingslager im Südsudan verteilt die Caritas Lebensmittelpakete. Wie stellt man eine solche Verteilaktion auf die Beine? Und wie wird überhaupt entschieden, welche Lebensmittel an wen verteilt werden?
An der Caritas-Verteilungsstelle im Gorom-Flüchtlingslager nahe der südsudanesischen Hauptstadt Juba herrscht reges Treiben. Sack um Sack, Kanister um Kanister wechselt den Besitzer oder die Besitzerin. Gegen Vorzeigen der Berechtigungskarte erhält jede Person 50 kg Maismehl, 25 kg Bohnen, 10 kg Zucker, 5 Liter Speiseöl und 2 kg Salz. Die Menschen sind erleichtert. Mit diesen Lebensmitteln können sie Grundmahlzeiten zubereiten und einige Zeit über die Runden kommen.
Alle brauchen Hilfe – wo anfangen?
Etwa 15’000 Menschen leben im ursprünglich für 2’500 Personen konzipierten Camp. Mehr als die Hälfte von ihnen suchte im vergangenen Jahr hier Schutz auf der Flucht vor dem bewaffneten Konflikt im benachbarten Sudan. Doch auch im Gorom-Camp ist das Überleben enorm schwierig. «Den Menschen hier fehlt es an allem», sagt James Alau. Er ist Projektmanager bei Caritas Juba, der lokalen Partnerorganisation von Caritas Schweiz.
Wo also anfangen, Hilfe zu leisten? Um diese erste und wichtigste Frage, die sich bei jedem humanitären Projekt stellt, zu beantworten, führte das Projektteam von Caritas Juba eine sorgfältige Evaluation im Lager durch. Unabdinglich war dabei die Absprache mit anderen Hilfsorganisationen und Strukturen im Lager.
«Wir arbeiteten unter anderem eng mit dem UNHCR zusammen, um den dringendsten Bedarf zu eruieren und so gezielt Versorgungslücken zu füllen.»James AlauProjektmanager bei Caritas Juba
Die richtigen Lebensmittel für die schutzbedürftigsten Menschen
Rasch zeigte sich: Es fehlte an Nahrungsmittelhilfe für besonders vulnerable und schutzbedürftige Personen. Für Familien, deren Oberhaupt gehandicapt oder schwanger ist. Für ältere Personen oder – am anderen Ende des Altersspektrums – für Haushalte, die aus minderjährigen Personen bestehen. Sie alle haben es noch schwieriger als andere, ihre Ernährung zu sichern. Das Projektteam fragte bei den Familien nach, welche Nahrungsmittel ihnen am meisten helfen würden. So ist sichergestellt, dass sie diejenigen Produkte erhalten, die sie auch wirklich benötigen und verwenden können. Zusätzlich zum Standardpaket erhalten akut mangelernährte Kinder im Gorom-Camp Milch, Süsskartoffeln oder Linsen, damit sie wieder zu Kräften kommen.
Damit bei den Hilfsleistungen niemand diskriminiert wird, gilt das humanitäre Prinzip der Unparteilichkeit: Allein die Notlage der einzelnen Menschen ist ausschlaggebend dafür, wer Unterstützung erhält. Ihre Hautfarbe, Ethnie, Religion – das alles spielt keine Rolle. So können auch Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen vermieden werden. Das ist im Gorom-Lager ganz wichtig. «Denn hier leben Menschen verschiedenster Ethnien und Muttersprachen auf engem Raum, Geflüchtete aus dem Sudan, aus Äthiopien, Uganda, Kenia, Burundi und dem Kongo», sagt James Alau.
Hilfe leisten unter sich rasch ändernden Bedingungen und einer stagnierenden Wirtschaft
Und das Camp wächst immer weiter – eine immense Herausforderung für Projektplanung und Logistik.
«Man plant für eine bestimmte Anzahl Menschen und nach nur ein bis zwei Monaten müssen wir alles anpassen, weil die Zahl so stark zugenommen hat.»James Alau
Auch die rasante Inflation im Südsudan macht den Projektmitarbeitenden zu schaffen. «Täglich werden die Lebensmittel teurer. Wenn wir ein Budget erstellen, ist es schon einen Monat später hinfällig. Das wirkt sich auf das Gesamtbudget aus.» Die Güter kauft Caritas Juba nach festgelegten Beschaffungskriterien im Land, ja wo immer möglich in der Region Juba selbst ein. So werden nicht nur lange Transportwege vermieden, sondern auch die lokale Wirtschaft gefördert.
Preis, Qualität und Liefergarantie sind unter anderem Kriterien, auf die beim Einkauf der Güter geachtet wird.
Die Verteilaktion selbst: ein grosser Gemeinschaftseffort
Sind die Lebensmittel im Gorom-Lager eingetroffen, gilt es, die Daten für die Verteilung mit anderen Hilfsmassnahmen zu koordinieren und die Verteilung sicher abzuwickeln. Dafür arbeiten alle eng zusammen – das Camp-Management unter der Leitung von UNHCR und der südsudanesischen Flüchtlingsorganisation ACROSS, andere Hilfsorganisationen vor Ort, die Polizei.
«Auch die Vorsteherinnen und Vorsteher der einzelnen Gemeinschaften spielen eine wichtige Rolle», erzählt James Alau. Sie kennen deren Mitglieder am besten und sind das direkte Bindeglied zu den Begünstigten. So stellen sie sicher, dass die begünstigten Familien Bescheid wissen über Zeit und Ort der Verteilung. Sie sind stets auch selbst vor Ort, mit offenen Augen und Ohren, um zu erklären und Missverständnisse bei der Identifikation der Menschen zu vermeiden.
«Sicherheit ist ein riesiges Thema.»James Alau
Das Lager ist so schnell gewachsen, dass es längst gegen alle Seiten offen ist. Bewaffnete Gruppen befinden sich ganz in der Nähe. «Sicherheit ist ein riesiges Thema», sagt James Alau. Die Polizei begleitet jede Verteilaktion. Gleichzeitig ist die Not gross, sodass es trotz der klaren Auswahlkriterien bei den Hilfsleistungen zu Spannungen kommen kann zwischen den Geflüchteten.
«Wir haben einen eingezäunten Ort in der Nähe der Organisations-Büros für die Verteilungen gewählt. Die Tore können geschlossen werden. Nur ein Zugang bleibt geöffnet, um die Bewegungen zu kontrollieren.» Zudem hat Caritas Juba sichergestellt, dass die Verteilstelle für Menschen mit körperlichen Einschränkungen – gebrechliche, gehbehinderte, schwangere Personen – gut erreichbar ist.
Enormer Einsatz, der Spuren hinterlässt
Mit viel Flexibilität und grossem Engagement tut Caritas Juba alles, um unter den schwierigen Bedingungen die bestmögliche Unterstützung sicherstellen zu können. Gleichzeitig sind die Projektmitarbeitenden täglich mit Hilfsanfragen konfrontiert, auf die sie nicht angemessen reagieren können. Das geht nicht spurlos an ihnen vorbei: «Manchmal ist das schwer auszuhalten.»
Die Bedingungen im Gorom-Camp sind prekär. Das Lager beherbergt weit mehr Menschen, als angedacht und diese leben in selbstgebauten Hütten.
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Titelbild: Der Grossteil der Bewohnenden des Gorom-Camps sind Frauen oder Kinder. Mit den Lebensmittelpaketen ist ihre Ernährung einige Zeit gesichert. © Caritas Juba