«Wir haben unsere Kapazitätsgrenze erreicht»
Die Bekämpfung von Armut ist aktuell in kaum einem Kanton so präsent wie in Freiburg. Nicht nur zeigt ein Bericht das Ausmass der Armut auf, auch ein neuer Caritas-Markt steht vor der Eröffnung – der zweite innert Kürze. Der Direktor von Caritas Freiburg nennt die Gründe.
Pascal Bregnard, im Caritas-Markt können Personen mit knappem Budget stark ermässigte Lebensmittel einkaufen. Im September 2021 wurde der erste Laden in Freiburg eröffnet, nun folgt bereits ein zweiter in Bulle. Wie kommt es dazu?
Die Erfahrungen in Freiburg sind durchaus positiv, und das Einzugsgebiet in Bulle rechtfertigt die Eröffnung eines zweiten Marktes. Wir versuchen auch, neue Partner zu gewinnen. Doch das wird immer schwieriger. Wir befinden uns mittlerweile in einer permanenten Krise, da tritt ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Die institutionellen Spenderinnen und Spender sind enorm gefordert. Wir bleiben jedoch zuversichtlich, dass sich unsere Spendenden weiterhin grosszügig zeigen.
Die Caritas ist als Verein organisiert. Man gewinnt den Eindruck, dass das Vereinswesen in Freiburg seit Längerem eine wichtige Rolle in der Armutsbekämpfung einnimmt.
In der Tat ist das Vereinswesen hier sehr präsent. Der Staat verlässt sich seit jeher stark auf die Vereinsarbeit. Das ist auch nötig: Im Kanton Freiburg leben immer mehr Menschen in prekären Verhältnissen.
Wie viele Personen haben in Freiburg zu wenig Geld zum Leben?
Gemäss dem jüngsten Armutsbericht des Kantons gelten 25ʼ000 Personen als armutsgefährdet. Diese Zahlen stammen jedoch aus dem Jahr 2019. Zu beachten gilt daher, was sich tatsächlich vor unseren Augen abspielt. Vor der Covid-Pandemie hatten wir jedes Jahr 130 bis 150 Dossiers zu betreuen, 2023 waren es zwischen 280 und 300.
Apropos Armutsbericht: Dies ist der zweite, den der Kanton verfasst hat. Was halten Sie davon?
Es ist zunächst mal ganz wichtig, dass ein solcher Bericht überhaupt existiert. Er enthält aktualisierte Zahlen, wobei diese sicherlich noch der Realität hinterherhinken. So haben wir beispielsweise die Kapazitätsgrenzen bei den gestellten Hilfegesuchen erreicht. Mittlerweile hat der Kanton erkannt, dass ein solcher Unterschied zwischen den Statistiken und der Realität besteht. Seit der Covid-Pandemie nimmt er auch die Appelle des Vereinswesens angesichts der Dringlichkeit der Probleme wahr. So hoffen wir nun etwa auf die Einführung von Familienergänzungsleistungen nach Waadtländer Vorbild ab 2025. Dies muss allerdings noch vom Grossen Rat genehmigt werden. Zudem wünschen wir uns ein Ende der Rückerstattungspflicht der Sozialhilfe.
Wie wirkt sich die zunehmende Armut auf Caritas Freiburg aus?
Wir würden gerne allen Anfragen gerecht werden. Da wir aber nach wie vor über ungenügende Mittel verfügen, ist dies nicht immer möglich. Das kann frustrierend sein. 2024 ist daher ein Ausbau unserer Beratungsleistungen in den verschiedenen Regionen des Kantons vorgesehen. Wobei ich sagen muss: Unser Ziel ist eigentlich nicht mehr Caritas, sondern weniger Armut. Doch gerade jetzt gilt es, den Schwächsten unserer Gesellschaft zur Seite zu stehen, auch wenn dies ein Budgetdefizit zur Folge hat.
Gibt es weitere Projekte, die ausgebaut werden?
Aus dem Bericht des Kantons geht hervor, dass sich über 40 Prozent der Freiburgerinnen und Freiburger einsam fühlen. Auch das ist eine Form von Armut, die uns aktiv werden lässt. Wir hoffen, mit unserer neuen Fachstelle Diakonie etwas bewegen zu können. In Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche möchte die Fachstelle das Problem gezielt angehen. Des Weiteren wird die Sozial- und Schuldenberatung auch 2024 den Kern unserer Arbeit bilden. Genauso hat sich der Caritas-Markt als sehr wertvoll erwiesen, daher die Eröffnung des zweiten Marktes. Darüber hinaus erfreuen sich die Angebote im Rahmen der «KulturLegi» einer stark wachsenden Beliebtheit. Die Herausforderung wird darin bestehen, diese Nachfrage decken zu können.
Geschrieben von Fabrice Boulé, Leiter Kommunikation Westschweiz, Caritas Schweiz
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Titelbild: © Dominic Wenger